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Sehnsuchtsziel Irland

Impressionen von Bernd Schiller  (2016)

Alles haben wir erwartet: Wunderbare Live Music und Super-Stimmung in nahezu jedem Pub zwischen Ardara im Nordosten und Kilkenny, der kleinen Mittelalter-Metropole im Südwesten. Landschaften, die einem den Atem verschlagen, zum Beispiel an den Cliffs of Moher, am Ring of Kerry oder, fast noch ein Geheimtipp, am Ring of Beara. Freundliche, fröhliche Typen, nicht wenige sogar mit roten Haaren. Schafe ohne Ende, auch solche die sich um Zäune wenig scheren und auf engen Straßen den Autofahrer gelassen anschauen und gern mal austesten, wer zuerst ausweicht. Grellgelbe Ginster- und leuchtendrote Fuchsienhecken, haushohe Rhododendronbüsche, Wollgras bis zum Horizont, Orchideen und sogar, der Golfstrom macht`s möglich, Palmen. Selbst Bilder von Stränden und Dünen hatten wir im Kopf, als wir uns auf den Weg nach Irland machten, diese Insel im Atlantik, die für Musik-, Literatur-, Natur-Liebhaber, für Individualisten, Literaturfreaks und für Fans schräger Charaktere schon lange zu den Sehnsuchtszielen zumindest in Europa zählen. 

Irland ohne Regen - Wo gibt´s denn sowas?

Wie gesagt: Das alles haben wir gesehen und erlebt, mit alldem hatten wir gerechnet. Und natürlich mit Regen, der doch zu Irland gehören soll wie das Guiness im Pub. Vielleicht nicht jeden Tag, aber doch mindestens jeden zweiten. Wir waren vorbereitet: Schirm, Wind- und Wetterjacke - und wurden „bitter enttäuscht“: Zwei Wochen lang fast nur Sonnenschein, zwei Wochen meistens blauer Himmel mit Wolken, so sommerlich-weiß wie die Schafe, die sich nicht zählen und nicht aus der Ruhe bringen lassen.

Was für Tage: Frühmorgens frisch, leicht windig, sechzehn bis achtzehn Grad, gegen elf schon um die zwanzig Grad, die Luft voller Duft nach gemähten Wiesen, nach Kokos - ja ehrlich, so riecht Ginster, wenn es warm ist in Irland. Und es kann richtig warm werden, bis über 25 Grad am frühen Nachmittag. Wir haben Amerikaner mit irischen Wurzeln getroffen, die auf den Spuren ihrer Vorfahren unterwegs waren und es nicht fassen konnten. Hatte ihnen nicht der Großvater von der Heimat erzählt, wie wunderschön sie sei und nur deshalb so grün, weil es fast immer regnet...

Wir haben also mit Regen gerechnet, was ja auch realistisch ist, um ehrlich zu sein. Aber wirklich vermisst haben wir ihn denn doch nicht. Uns hat der Morgen- und der Seenebel, zum Beispiel auf dem Burren, einer geradezu mystisch-kargen Landschaft an der Westküste, genügt, um eine Ahnung von der Melancholie zu bekommen, von der Schwermut, die eben auch zu dieser Insel gehört, zu ihrer tragischen Geschichte, zu ihren Menschen. Den Hardcore-Irland-Enthusiasten sei verraten: Man kann sich gut und gerne auch bei anhaltendem Sonnenschein und südlichen Temperaturen in dieses Land verlieben. Uns ist das jedenfalls mühelos gelungen. 

Besuch in Bölls Cottage

Wir hatten nämlich nicht nur Kleidung für alle Fälle dabei, sondern auch das „Irische Tagebuch“ von Heinrich Böll. Vor über sechzig Jahren, lange bevor er den Nobelpreis für Literatur bekam (1972), hat der Dichter mit diesem kleinen Buch seinen Dank abgestattet an eine Landschaft und ihre Menschen, denen er sich seit seinem ersten Besuch auf Achill Island „wahlververandtschaftlich“ fühlte, wie es im Klappentext heißt. Dieser schmale Band, die Liebeserklärung eines großen Dichters, der nicht unbedingt zur Euphorie neigte, hat schnell eine Fangemeinde gefunden. Irland ist auch durch Bölls Tagebuch zum Sehnsuchtsziel für viele Deutsche geworden, Achill Island zu einer Art Wallfahrtsort für Leser und Liebhaber auf der Suche nach den Schauplätzen seiner ebenso zarten wie unprätentiösen Schilderungen.

Achill Island, mit etwa 140 Quadratkilometern Irlands gerade mal so groß wie der Hamburger Bezirk Wandsbek und doch Irlands größte Insel, mit dem Festland durch eine Brücke verbunden, wurde zu Bölls Refugium. Über Jahrzehnte fuhr er immer wieder in sein Cottage, ein bescheidenes Häuschen am Rande der Grafschaft Mayo, am Rande Irlands, am Rande der Welt. Gern kam er im Mai oder Juni, einer Jahreszeit, in der auch wir unterwegs waren: „Der Stechginster blühte, die Fuchsienhecken hatten schon Knospen; wilde, grüne Hügel, Torfhaufen; ja, grün ist Irland, sehr grün, aber sein Grün ist nicht nur das Grün der Wiesen, auch das Grün des Mooses...und Moos ist die Pflanze der Resignation, der Verlassenheit...“

Böll hat die Farben und die Stimmungen Irlands an keiner Stelle mit dem breiten Pinsel gemalt; seine Sprache tupft Bilder, „locker und frei, auch das Beiläufige und nebenher Erzählte groß angelegt und wunderbar gesagt“, wie es Carl Zuckmayer ausgedrückt hat. „Es gibt dieses Irland“, verspricht Böll in einer Widmung, die er dem Tagebuch voranstellt, „wer aber hinfährt und es nicht findet, hat keine Ersatzansprüche an den Autor.“

Wir jedenfalls glauben Bölls Irland gefunden zu haben, auch wenn das nach nur zwei Wochen vermessen klingen mag. Wir haben es in vielerlei Landschaften, noch mehr aber in Begegnungen mit Menschen ganz unterschiedlicher Art gefunden. Und wir haben, nach wundersamen Umwegen, die alles andere als Irrwege waren, auch das Cottage des Dichters gefunden. Es gehört der Heinrich-Böll-Stiftung, die den Grünen nahesteht. Nach wie vor ist es ein Refugium, ein Ort, in dem sich Schriftsteller, Maler, Musiker, Bildhauer und andere Künstler für ein paar Wochen zurückziehen und in Ruhe arbeiten können. Deshalb ist es auch nicht zu besichtigen, ein Schild bittet vor dem Eingang in deutscher und englischer Sprache dafür um Verständnis.

Das Cottage liegt in einer Senke, gut versteckt hinter Hecken und Büschen. Als wir einen Blick übers Eingangstor werfen, kommt uns C.L. Dallat entgegen, ein freundlicher Mann, ein Ire, der in London lebt, ein Poet, wie sich gleich herausstellt, Schriftsteller, Musiker auch. Ein paar Wochen hat er in dieser Einsamkeit Gedichte geschrieben für einen neuen Lyrikband, seine alte, wertvolle Oboe gespielt, für sich, nur für sich. Er bittet uns hinein, zeigt uns das Atelier der Maler, die Küche, das Arbeitszimmer des Dichters, dessen 100. Geburtstag im nächsten Jahr wohl auch auf diesem Inselchen gefeiert wird. Die Bilder an den Wänden erzählen von den gewollt spärlichen Besuchen prominenter Besucher in der Klause. So war zum Beispiel Mary Robinson gern hier, Feministin, Menschenrechts-Aktivistin und von 1990 bis 1997 erste Präsidentin der Republik Irland.

Es waren gute Gespräche in der Dichterklause, dank Mister Dallat, des englisch-irischen Poeten. es waren schöne Tage auf Achill Island, eine Stunde lang hat es, fast wie bestellt, ein bisschen Nieselregen gegeben. Der Besuch in Bölls Cottage, er war vom unverhofften Glück des Reisenden geprägt, der nicht wirklich etwas sucht, aber doch ganz viel findet. 

Black Pudding bei Beatrice & Co.

Noch einmal Achill Island, diese Insel, die auch als Irland im Kleinformat gesehen werden kann. Wir hatten uns, aus Norden kommend, nach der Brücke über den Achill Sound auf dem Weg zu Lavelle`s Guesthouse, unserer vorgebuchten Bed-and-Breakfast-Unterkunft, kräftig verfahren. Und auch das war wiederum ein Glück: Nie hätten wir sonst die dramatisch-schöne Südküste, den schmalen und kurvenreichen Südteil des Atlantic Drive kennengelernt, wären nie in einer Schafherde steckengeblieben, hätten nie witzige Auskünfte nach dem weiteren Weg bekommen, von Frauen in Kittelschürzen, Männern mit typischer Tweedjacke und Schlägermütze, von Menschen wie aus einem älteren Irlandfilm.

Beatrice war unsere erste B&B-Gastgeberin auf dieser Tour, eine warmherzige Frau, die klug genug ist, abzuwarten, wie groß das Interesse ihrer Gäste ist, bevor sie über Achill Island erzählt, über
Irland, über die kleinen Dingen am Wegesrand: Beatrice, was bedeutet die Ente auf den Hinweisschildern, die an jeder zweiten Ecke stehen, noch dazu auf Gälisch, der alten Irischen Sprache, beschriftet? Nein, keine Warnung vor wilden Enten, nur ein freundlicher Hinweis für Ornithologen, dass es in dieser Gegend viel Gefieder zu sehen gibt.

Und natürlich die Frage, wie übersteht ihr hier unten im Dörfchen Doogea den Winter, wie haltet ihr es aus, „wenn die Stürme wochenlang wehen, die Brandung wochenlang brüllt, der Regen regnet...“ (Heinrich Böll) ? Ja, gibt Beatrice zu, das muss man mögen oder besser, man muss es aushalten - oder wegziehen, wie es im Laufe der Jahre, der Jahrzehnte, der Jahrhunderte so viele getan haben. Und manchmal braucht auch Beatrice eine Auszeit, so wie neulich, als sie für vier Tage nach Dublin ging, um ihren 60. Geburtstag angemessen zu feiern.

Es ist noch Vorsaison, und deswegen hat Mickey, der Pub, der eigentlich zu Lavelle`s Pension gehört, noch nicht geöffnet. „Aber im Gasthaus direkt vor der Brücke werdet ihr satt und der alte Connaughton zapft ein gutes Guinness..!“ So war es denn auch. Und Christopher, der Sohn des Hauses, studierter Historiker, jetzt aber als Computer-Spezialist in Dublin und in den Ferien als Unterstützung im elterlichen Restaurant tätig, erzählt von früheren Zeiten, von der bitteren Armut, die so viele in die Emigration getrieben hat (man lese Böll oder die Bücher von Frank McCourt), vom schwierigen Verhältnis zu England, vom Boom und von der Krise, die folgte...

Solche Gespräche sind typisch auf Irland-Reisen.

Auch mit Beatrice sind wir bald ins Gespräch gekommen. Anfangs übers Frühstück, natürlich mussten wir es very irish angehen lassen, gleich am ersten Morgen. Vorweg Porridge, dann die volle Dröhnung: Black Pudding, das ist gebratene Blutwurst mit würziger Grütze, dazu Spiegeleier, Bacon, Schweinswürste, Kartoffelbrot...Toast und gebackene Tomaten, eventuell noch Bohnen und Räucherhering ...Am nächsten Tag, wir waren noch die einzigen Gäste, kreisten die Gespräche dann auch über die Zukunft von Achill Island, über Schulen, über den Clan der Lavelles, über die wunderbare Natur, die gerade voll aufbeblüht war. Und beim Abschied, nach nur zwei Nächten, haben wir uns in den Arm genommen, als kennten wir uns schon Jahrzehnte.

So war das auch bei Bernadette in Tarbert, auch so einem Ort, den man auf der Karte erstmal suchen muss, eine Fähre kreuzt vor diesem Städtchen den Shannon, den größten Fluss des Landes. Herzliches Welcome, Tee und frische Scones auf der Terrasse, Bernadette ist ein Schatz wie Beatrice, hat Tipps für die Restaurants in Tarbert (es gibt allerdings nur zwei) und für die Pubs. Sie weiß, wann dort gesungen, musiziert und gefeiert wird. Swanky zum Beispiel, gleich neben Barnadettes B&B wurde zu unserem „Stammlokal“ (auch bei ihr hatten wir nur zwei Nächte gebucht).

Ein paar Tage später: Diesmal sind Tina und John in Portmagee, einem charmanten Hafenstädtchen am Rande des Rings of Kerry, unsere Gastgeber. Ein Muster-B&B, alles hat bei den beiden gestimmt: die Zimmer groß, die Bäder top ausgestattet, das Frühstück mit Blick aufs Meer vielfältig, von ganz gesund bis sehr nachhaltig (Black Pudding, Sie wissen schon...) war für jeden etwas dabei. John hat in jedem Zimmer zwei Nächte „Probe“ geschlafen, um Macken zu finden, um es seinen Gästen, von denen viele längst zu Freunden geworden sind, recht zu machen (man lese nur das Gästebuch).

Schließlich das Forgefield Guesthouse am Rande von Kenmare...Und wieder: traumhafte Lage, Zimmer, die jedem Viersterne-Hotel Ehre machen würden. Und das Irische Frühstück, das wir inzwischen allerdings nur noch in der im wahrsten Sinne des Wortes abgespeckten Version bestellen. Und vor allem Sheila und Sam, ein liebenswertes Ehepaar mit kuriosem background: Sie Irin, Katholikin, aus alter Kenmare-Familie stammend, fast so temperamentvoll wie Bernadette in Tarbert, er Engländer, Protestant, von ruhiger Art, mit dem trockenen Humor seiner Landsleute gesegnet. Forgefield liegt etwas abseits von Kenmare, und weil Sam ahnte, dass wir zum gepflegten Abendessen im Restaurant Lime Tree gern beide Wein oder Bier trinken würden, fuhr er uns - „keine Widerrede, das machen wir immer so...!“ - in die Stadt und holte uns zur festgesetzten Zeit ab. Das nenne ich nicht Fünfsterne-Service, das nenne ich Gastfreundschaft, die von Herzen kommt.

Genug der Schwärmerei; es würde ein dickes Buch werden, wollte man den vielen B&B-Betreibern dieser Insel, speziell den Power-Ladies, die meistens den Laden schmeißen und das wundervolle Frühstück zubereiten, vollends gerecht werden. 

Dublin: Summer in the City

Abschluss in Dublin, letzte Tage und Nächte bei südlichem Wetter. Saturday Night Fever im Amüsierviertel Temple Bar. Das Leben südlich der Halfpenny Bridge tobt, die Gassen sind voller Junggesellen, männlich und weiblich, die in Kompaniestärke ihren Abschied vom bisherigen Dasein feiern, fröhlich, witzig, sehr laut, sehr durstig.

Tagsüber erholt sich Dublin in so wunderbaren und bestens gepflegten Anlagen wie dem Green Park, ursprünglich von der Familie Guinness gestiftet, auf reichlich vorhandenen Bänken oder auf makellosem Grün, das in diesen vorsommerlichen Tagen zur Liegewiese für Tausende wird. Aber auch die Statuen und Denkmäler für die Dichter, von denen das kleine Irland so viele hervorgebracht hat, sind gut besucht und beliebtes Motiv für Fotografen aus aller Welt. Vor der abstrakten Yeats-Statue, 1967 von von Henry Moore geschaffen, oder vor der bunten Figur von Oscar Wilde, schräg gegenüber von seinem Geburtshaus in 21, Westland Road, machen Japaner, Chinesen und deutsche Studienreisende ihre Selfies.

Den Schauplätzen der irischen Poeten folgen - ein Reisemotiv für sich: William Butler Yeats, James Joyce und der wilde Brendan Behan haben reichlich Spuren hinterlassen, nicht nur auf Friedhöfen wie Drumcliff, wo Yeats seine letzte Ruhe gefunden hat. Auch in den Kneipen von Dublin, die nicht nur für Brendan Behan das eigentliche Zuhause waren.

Zwischen Donegal, Achill Island, dem Ring of Kerry oder dem von Beara, und schließlich der Hauptstadt: Landschaften von spektakulärer Schönheit, aber auch Begegnungen in Pubs und Gärten, an Klippen und an Aussichtspunkten, die uns das Land ans Herz wachsen ließen. Es werden nicht immer so warme Tage und Nächte am Shannon, am Liffey oder anderswo auf der Grünen Insel sein, wie wir sie erlebt haben. Diese Impressionen können nur einen Ausschnitt geben von der Vielfalt der Insel, nur ein paar Farbtupfer spiegeln, die überall aus dem Grün aufscheinen. Die Stimmung in den Pubs, das Gefühl des home comings in den Frühstückspensionen, die Freundlichkeit der Leute und die vielfältige Natur, von lieblich bis dramatisch, hängen sowieso nicht vom Wetter ab. Und Ersatzansprüche an den Autor des Irischen Tagebuchs haben wir nun wirklich nicht anzumelden, allenfalls ein großes Dankeschön. 

Bernd Schiller

Der Hamburger Reisejournalist und Buchautor, war schon vor über dreißig Jahren, bei einer ersten Reise nach Dublin und Umgebung, auf Anhieb fasziniert von der ganz speziellen Atmosphäre dieses Landes, von der Magie der Farbe Grün, von der Musik in den Pubs, von der Offenherzigkeit und dem widerspenstigen Optimismus der Iren. Nach nur fünf Tagen und Nächten, so abwechslungsreich wie das Wetter, wusste er, dass dies ein Land nach seinem Geschmack war, in das er irgendwann wiederkommen würde. Jetzt endlich ist er - zusammen mit seiner Frau Ingrid - seinen eigenen Spuren gefolgt und, viel ausgiebiger noch, denen großer Literaten, für die Irland seit jeher ein Kraftfeld war. Gut versorgt mit Tipps vom Irland-Spezialisten Carsten Okkens aus dem Schnieder-Team, hat er zwischen Donegal im Nordosten und Kinsale im Süden sein Sehnsuchtsland wiedererkannt und in vielen zusätzlichen Facetten neu entdeckt.