Reisen zu Zeiten von Corona: Auf Erkundungstour im Baltikum
Unser Kollege Carsten ist zu einer Erkundungstour ins Baltikum aufgebrochen. Wie reist es sich in Zeiten von Corona? Wie ist das Prozedere auf der Fähre? Und was müssen wir bei unseren Planungen vor Ort für Sie berücksichtigen? Diese und andere Fragen sollten auf dieser Tour geklärt werden. Carsten hat sein Motorrad gesattelt und berichtet von seiner „Corona-Erkundungstour“ durch Litauen, Lettland und Estland.
Vorweg: Das Leben und Reisen im Baltikum zu Zeiten von Corona gestaltet sich gar nicht so ganz anders, als wir es schon aus Deutschland gewohnt sind. Aber lesen Sie selbst:
von Carsten Okkens (Juni 2020)
Tag 1: Einschiffung in Kiel
Große Vorfreude und Aufregung! Nach coronabedingten Wochen der Abschottung können wir seit gestern wieder – im eingeschränkten Rahmen - ins Ausland reisen. Die baltischen Staaten und auch Polen gehören dazu. Also flugs das Motorrad gesattelt und spontan eine Erkundungstour durch das Baltikum geplant. Besonders spannend ist natürlich, wie sich das Reisen unter Corona-Bedingungen gestaltet.
Nach dem Check-in rolle ich im Kieler Ostuferhafen auf die DFDS-Fähre Victoria Seaways, die mich nach Klaipeda in Litauen bringen wird. Aber selbst das Hafenpersonal scheint ein wenig eingerostet. Mit dem Verzurren des Motorrades mühen sich gleich drei Mitarbeiter ab und überbieten sich mit Vorschlägen und Versuchen, welche Strippe von hier nach da zu spannen sei, um dem Fahrzeug Halt zu geben. Dem Endresultat traue ich nur, weil eine ruhige Überfahrt zu erwarten ist. Aber keine Bange, das spielt sich wieder ein.
An Bord finden sich erwartungsgemäß nur wenige touristische Passagiere. Die meisten sind Lkw-Fahrer. Überhaupt sind die Ladedecks scheinbar zentimetergenau bis an den Rand mit Lkw gefüllt. Die dafür erforderlichen Rangierkünste der Fahrer ernten immer wieder meine Bewunderung. Durch die überschaubare Auslastung ist das Schiff recht luftig besetzt, Abstandhalten kein großes Problem. Erstaunlicherweise trägt an Bord kaum jemand Masken. Hier und da jemand von der Crew, sofern direkter Kontakt zu den Passagieren erfolgt, aber die Fahrgäste selbst tragen keine. An der Rezeption erhalte ich einen Zettel, in dem ich einige persönliche Daten eintragen und den ich morgen bei der Ankunft einem an Bord kommenden Arzt übergeben soll. Es gibt wohl einen Fieber-Check. Gut so.
Nun aber raus an Deck und die Ausfahrt aus der Kieler Förde genießen! Das Wetter ist herrlich, die Ostsee spiegelglatt und der Sonnenuntergang so schön, dass es schon fast kitschig ist. Ein leckeres Abendessen, ein ebenso leckeres litauisches Bierchen und ab in die Koje.
Tag 2: Ankunft in Litauen
Der Tag beginnt mit einem gemütlichen Frühstück. Das durch halbhohe Glasscheiben abgetrennte Buffet ist eine Mischung aus Selbstbedienung und Service. Einige Dinge nimmt man sich selbst, warme Speisen werden gereicht, Kaffee und Tee holt man sich selbst am Automaten. Eigentlich wie immer …
Die See ist immer noch ruhig, das Schiff in eine Art sonnigen Nebel gehüllt und erst am späten Nachmittag erreichen wir den Hafen von Klaipeda. Es ist also noch reichlich Zeit zur Ankunft. In der locker besetzten Lobby läuft eine quietschbunte russische Medizin-Sendung, in der eine lebhafte Dame im kanariengelben Kleid mit zwei Ärzten – die zur Verdeutlichung ihrer Kompetenz im Studio weiße Kittel über den Anzügen tragen - Corona und andere Dinge erklären. Im Vergleich zum inzwischen gewohnten Abstand der Protagonisten im deutschen Fernsehen scheint Distanz bei den Mitwirkenden dieser Sendung keine große Rolle zu spielen.
Schließlich ist Klaipeda erreicht und das Schiff gleitet sanft durch das Kurische Haff zum Anleger im Stadtzentrum. Kurz vor der Ausschiffung müssen sich alle Passagiere zu einem Temperatur-Check versammeln. Eine an Bord gekommene Ärztin prüft jeden, bevor er/sie/es von Bord gehen kann.
Da ich als letztes Fahrzeug an Bord bin, geht das Leben bei der Ausschiffung gerecht mit mir um: Ich bin auch der Erste, der von Bord rollt. Bei bestem Sonnenschein treffe ich mich mit einem befreundeten Kollegen unserer litauischen Partner zu einem Kaffee in der Altstadt, direkt am Ufer der Dange. Herrlich! Ein kurzer Austausch über Corona und den erlebten sowie zu erwartenden Folgen, dies und das und schon geht es weiter zur Fähre, die mich auf die Kurische Nehrung bringt. Die Überfahrt ist nur kurz und bald darauf rolle ich die ersten Meter auf diesem fantastischen Landstrich, der mich immer wieder aufs Neue begeistert. Dieser Duft nach Kiefern, das sanft plätschernde Wasser des Kurischen Haffs, die Brandung am Ostseestrand…, wer hier nicht runterkommt, wird wohl nie einen geeigneten Ort finden.
Die Fahrt nach Nida ist reiner Genuss. Freund Werner ist schon gestern mit seinem Motorrad angereist und die Freude des Treffens groß. Zum Abendessen gesellt sich eine liebe Kollegin aus dem Hotel dazu und so wird der Abend länger als gedacht. Ein kurzer Spaziergang an der Haffpromenade und ab in die Falle!
Tag 3: Kurische Nehrung und Memelland
War ja klar. Natürlich kommen wir nicht zeitig los. Dazu treffe ich zu viele Freunde und Bekannte hier in Nida, aber so eine Verzögerung nimmt man gerne in Kauf. Und natürlich darf ein – unvollständiger – Rundgang durch Nida nicht fehlen. Das alles bei strahlendem Sonnenschein und schon ziemlich strammen Temperaturen.
Es ist Mittag als wir schließlich starten. Die Wärme hat sich in reichlich Hitze verwandelt und lässt uns in den Motorradklamotten tüchtig dampfen. Und hey! Da kommt eine Raketa an! Schnell in den Hafen und begutachten. Raketas sind Tragflügelboote aus sowjetischer Zeit und wurden auf vielen Flüssen in der Sowjetunion eingesetzt. In Litauen verkehrte sie bis vor ca. 10 Jahren auf der Memel von Kaunas nach Nida. Hin und zurück in einem Tag, die Dinger sind echt flott. Und nun fährt sie wieder, jeweils vier Tage die Woche. Ein wunderbar restauriertes und modernisiertes Exemplar liegt hier vor mir. Die Verbindung ist perfekt für eine Kombination mit einer Radtour durch Litauen. Oder einen Ausflug mit Übernachtung.
Zurück nach Klaipeda. Nach der kurzen Fährüberfahrt sind wir schon leicht angegart. Die nächste Station ist Dreverna am Haffufer gegenüber der Nehrung. Hier ist ein kleiner Yachthafen entstanden, zusammen mit Restaurants und einem Dorf von kleinen Ferienhütten, die wie auf einer Perlenkette aufgereiht direkt einer Art Kanal stehen. Nach zwei, drei Bier im Restaurant tut man gut daran, sich die Nummer des Hauses gemerkt zu haben, die gleichen sich nämlich wie ein Ei dem anderen.
Und ah! Ein kleiner Aussichtsturm. Da muss ich natürlich rauf. In 15 Metern steht man dann auf einem Gitterrost. Super, das ist ja was für mich … Ok, jetzt ruhig atmen, Fotos von der fantastischen Aussicht machen und gaaaanz langsam wieder runter.
Gründlich geerdet geht es nach Svencele, ebenfalls am Haff. Hier entstehen gerade unglaublich viele zweistöckige, weitgehend identische Bungalows, direkt am Haff. Hm… mal sehen, wenn das alles fertig ist.
Weiter geht’s nach Vente (Windenburger Eck) mit dem Leuchtturm und der Vogelwarte. Die Strecke führt über Kilometer über eine Piste durch den Wald. Teilweise etwas waschbrett-hoppelig, aber am Ende sind zum Glück noch alle Zähne da. In Kintai drehen wir vor einem nahenden Unwetter bei. Immerhin wollen wir noch gute 120 Kilometer nach Jurbarkas.
Das Unwetter zieht an uns weitgehend vorbei, nur ein wenig Regen bis Silute (Heydekrug) und dann ist gut. Die weiter geplanten Stopps fallen aus Zeitmangel aus und wir rauschen bis Jurbarkas durch. Unser Gästehaus direkt an der Memel ist ganz wunderbar. Die Gastgeberin Kristina empfängt uns maskiert und verwöhnt uns mit einer erfrischenden kalten Rote Beete-Suppe, Rippchen und lokalem Bier. Herz, was willste mehr…
Fazit des Tages: Viel Platz in den (Hotel-)Restaurants, Service mit angemessener Distanz. Masken sind eher selten, weil zwar empfohlen, aber nicht verpflichtend.
Tag 4: Entlang der Memel, nach Kaunas und Vilnius
Der Tag beginnt wunderbar. Der Blick von der Veranda des Gasthauses Jurodis auf die Memel ist einfach großartig. Kristina serviert ein leckeres und üppiges Frühstück, außer uns ist noch ein kleiner Wandertrupp da. Ganz hartgesottene, die schon vor Sonnenaufgang richtig lange Strecken wandern. Kristina serviert ihren Gästen übrigens nur Speisen aus der Region oder aus eigenem Anbau. Bei uns wäre das wohl ein Bio-Hof …
Kurz im Supermarkt mit kleinem Proviant und Wasser versorgt. Alle Mitarbeiter tragen Masken, an den Kassen die Kunststoff-Schutzschilde wie bei uns.
Von Jurbarkas erwartet uns eine fantastische Strecke an der Memel entlang, fast immer den Fluss im Blick, dessen Ufer mit Schwemmwiesen naturbelassen sind. Unterwegs stoppen wir an der Burg Panemune, die heute ein Hotel beherbergt. Verschiedene weitere Burghügel am Fluss zeugen von der Verteidigungslinie der Litauer gegen den Deutschen Orden. In Vilkija überlegen wir kurz mit der kleinen Fähre überzusetzen, entscheiden uns aber für einen Abstecher nach Kaunas, Litauens zweitgrößter Stadt.
Die vielen Cafés in der hübschen Altstadt sind gut besucht, alle Tische stehen mit gutem Abstand, was sie hier aber eigentlich immer tun, deswegen wirkt es kaum anders als sonst.
Richtung Vilnius verlassen wir die Autobahn bei Elektreniai, um auf geschwungenen Landstraßen durch eine hügelige Landschaft, vorbei an kleinen bunten Gehöften und Dörfern die Fahrt zu genießen. Die frühe Abendsonne macht die Fahrt überwältigend schön!
In Elektreniai treffen wir auf einer Tankstelle drei junge Litauer, die mit ihren Motorrädern vier Tage dem Trans-Euro-Trail in Litauen fahren. Dabei geht es offroad durch das Land. Umfaller gehören scheinbar zum Programm. Einer der Drei hatte sich gestern schon sieben Mal auf die Seite gelegt. Zimperlich darf man da nicht sein …
Ein Zwischenstopp an der fotogensten Burg des Baltikums, in Trakai, und viel später als gedacht treffen wir in Vilnius ein. Die Altstadt brodelt vor Leben! Überall bevölkern vor allem junge Menschen die Bars, Restaurants und Cafés. Es sieht aus, als wäre ganz Vilnius draußen. Wir gesellen uns dazu und genießen einen herrlichen Sommerabend.
Tag 5: Vilnius – Anyksciai – Pakruojo
Klare Sache, bevor es weitergeht, schauen wir uns noch ein wenig in der Altstadt von Vilnius um: Tor der Morgenröte, Rathausplatz, Deutsche Straße, Stanislaus-Kathedrale, Annenkirche und auch das ehemalige jüdische Getto heißen unsere Streiflichter. In der St.-Johannis-Kirche der alten Universität bereitet sich ein Brautpaar auf den großen Tag vor. Der Burgberg, der Gediminas-Prospekt, das Viertel Uzupis und vieles mehr müssen auf den nächsten Besuch warten. Für mich immer wieder eine spannende Stadt mit einer großartigen Historie und ultramoderner Architektur diesseits und jenseits der Neris.
Unser Hotel in der Altstadt begegnet dem Coronavirus mit Plexiglasscheiben zwischen den Tischen und an der Rezeption. Zum Frühstück sind nur die Cerealien frei zugänglich, alles andere wird am Tisch serviert (kein Buffet).
Aufbruch und Abfahrt. Unsere erste Station ist der geographische Mittelpunkt Europas, der nur 26 Kilometer von Vilnius entfernt liegt. Von hier schlängelt sich eine herrlich zu fahrende Landstraße durch eine sanft wellige Moränenlandschaft. Es ist wieder sehr heiß und in Moletai gibt es einen erfrischenden Eistee, bevor es nach Anykciai weitergeht. Dort machen wir Station am alten Bahnhof. Eine Schmalspurbahn wird hier liebevoll in Betrieb gehalten und das hölzerne Bahnhofsgebäude leuchtet in strahlendem gelb. Hier muss eines der Motorräder für ein Foto einfach zwischen die Gleise. Ein wenig mühevoll, aber es muss sein.
Weiter geht es durch die litauische Provinz auf bester Motorradstrecke, bis uns in Panevezys ein Regen der Extraklasse einholt. Zum Überstreifen der Regensachen bleibt keine Zeit. Ok, dann eben nass. Ist ja nur Wasser. Der Regen ist so stark und teilweise mit dickem Hagel durchsetzt, dass die Autos reihenweise am Straßenrand stehenbleiben. Wir nicht. Lieber fahren als schutzlos stehen. Unser Übernachtungshotel heißt Pakruojo Dvaras, ein Schlosshotel im Norden Litauens. Wunderbar liebevoll im zeitgenössischen Stil ausgestaltete Räume. Zum rustikalen Restaurant führt ein Spaziergang durch den weitläufigen Park. Ein unerwartetes Kleinod in der gefühlten Mitte von Nichts. Ein perfekter Abschluss eines wunderbaren Tages.
Tag 6: Nach Riga
Zum Frühstück werden wir nach der am Vorabend abgestimmten Losung „Guten Morgen“ von einer netten Dame eine Verlies-artige Treppe hinabgeführt. Aber als alles andere als karg erweist sich auch der Frühstücksraum. Wirklich alles ist mit liebevollen Details hergerichtet. Frisch gestärkt erkunden wir das weitläufige Areal mit vielen Nebengebäuden, in denen sich Handwerk präsentiert. Aber vor allem die märchenhafte Ausstellung „Sommernachtstraum“ mit den teilweise riesigen Figuren hat es uns angetan. Zum Ausgleich kommen wir aber recht spät aus dem Quark. Es ist schon fast Mittag …
Als wir aufbrechen erweist sich ein kleiner Navigationsfehler als Glücksfall. Der Umweg führt wieder über herrliche Nebenstraßen, sozusagen Baltikum at its best, bevor wir dann doch noch den Berg der Kreuze erreichen. Die skurrile Ansammlung abertausender Kreuze ist immer wieder einen Besuch wert. Als wir die Grenze nach Lettland überschreiten, bricht auch die Sonne wieder durch. In Jelgava stoppen wir kurz am Palast, bevor wir direkt Riga ansteuern.
Das Hotel inmitten der Altstadt ist schnell gefunden und schon bald sitzen wir in einem netten Café unter freiem Himmel. Wie in Vilnius pulsiert auch hier das Leben in der Altstadt. Ein kurzer Rundgang: Dom, Petrikirche, Schwarzhäupterhaus, Schwedentor und Pulverturm. Eine großartige Stadt! Leider schaffen wir am Abend nicht mehr so viel. Aber wir kommen ja wieder. Dafür können wir noch lange bei herrlichem Sommerwetter draußen sitzen und lauschen dabei toller Livemusik.
Tag 7: Riga – Moose
Nach dem Frühstück – das in unserem Hotel für die wenigen Gäste ganz normal als Buffet serviert wird – ist zunächst ein kleiner Abstecher eingeplant. In der Nähe von Riga besuchen wir meine liebe Kollegin Iveta von einer Partneragentur hier in Riga. Covid-19 zwingt auch sie seit guten drei Monaten ins Homeoffice. Wir schwatzen draußen im Garten und hätten hier gerne noch etwas mehr Zeit verbracht, aber wir haben heute noch einiges vor.
Zunächst starten wir in Richtung Gauja-Nationalpark, vorbei an der Ordensburgruine von Turaida. Bei der Weiterfahrt erweist sich wieder einmal, dass selbst sogenannte Hauptstraßen im Baltikum oft nur wenig befahren sind. Für eine Motorradtour perfekt. Mein Highlight des Tages erreiche ich in Straupe: Die Schlossanlage Groß-Roop (Lielstraupes pils) in der „kleinsten Hansestadt der Welt“ geht auf das 13. Jh. zurück. Interessant ist, dass eine turmlose Kirche direkt an das Schloss andockt. Ich treffe eine nette Dame, die ein wenig Englisch spricht, und fragt, ob ich in die Kirche wolle. Aber ja!! Sie meint, es gäbe „geheime Engels-Fresken" unterm Dach. Der Weg dorthin führt durch eine niedrige Tür, über eine stockdustere und schmale Wendeltreppe, dann durch eine Klappe im Boden und in eine dunkle Zwischenebene hinab. Puh! Dort endlich war dann das Bild zu bewundern! Welche junge Frau dafür wohl Modell gestanden hat? Und warum befindet es sich so abseits und versteckt hier oben?
In der ehemaligen Hansestadt Valmiera (Wolmar) genießen wir eine Pause. Wieder draußen und mit unproblematischen Abständen, die ich hier aber – wie schon erwähnt – als recht normal empfinde. Es gehört hier nicht zur Kultur, Tische dicht an dicht zu positionieren. In Valmiera noch kurz den Mauerrest der Ordensburg inspiziert und die St.-Simeons-Kirche aus dem 13. Jh. bewundert.
Von hier ist es nicht mehr weit zur lettisch-estnischen Grenze, die sich mitten durch die geteilte Stadt Valka/Valga zieht. Heute im EU-Zeitalter kein großes Problem. Vor dem EU-Beitritt im Jahre 2004 gab es hier aber Passkontrollen, seit die Grenze nach dem Zerfall der Sowjetunion mitten durch die Stadt verlief. Mancher lebt in Lettland und arbeitet in Estland und umgekehrt. Verwandte leben hier wie dort.
Im Südosten Estland ändert sich die Landschaft und die vielen Hügel bescheren uns eine wunderbare und kurvenreiche Straßenführung. Rauf, runter, rechts, links… ein großer Spaß! Ein letzter Kaffee in Otepää, einem bekannten Wintersportort (aber auch im Sommer ist hier alles auf den sportlichen Beinen) und die letzten Kilometer zu unserem Quartier in Moose genommen. Die ehemalige Gutsanlage gehört zu den größten in Estland. Leider gibt es nichts mehr zu essen. Macht aber nichts. Im nahen Pölva finden wir noch einen kleinen Imbiss und einen Supermarkt. Man ist hier im Südosten Estlands ein wenig ab von vielem …
Tag 8: Peipussee
Das Frühstück im Café des Gästehauses wirkt noch ein wenig improvisiert. Jeder bekommt einen Teller mit einem Omelett und ein paar Zimtschnecken auf den Tisch. Und zwar für alle sechs Gäste gleichzeitig, egal ob sie schon am Tisch sitzen oder nicht. ;-))) War lecker, aber mehr gab’s nicht.
Heute werden wir auf unserer Fahrt immer wieder auf den Peipussee treffen. Der größte Grenzsee Europas ist ungefähr siebenmal größer als der Bodensee. Als erstes suchen wir uns ein schmales Stückchen aus, einfach nur um einen Blick auf Russland auf der anderen Seite zu werfen. Die Fahrt in das kleine Mehikoorna ist nicht weit, wird mir aber wohl lange in Erinnerung bleiben, denn … ein ELCH!! Und was für imposante Prachtexemplar. Im gestreckten Galopp läuft er über ein Feld und nähert sich immer weiter der Straße, hält auf mich zu. Ich stehe wie angewurzelt. Kurz vor mir dreht er bei und läuft über die Straße, über ein Feld und schließlich in den Wald. Alles passiert in Sekunden, aber es kommt mir echt lang vor. Foto war nicht. Alles zu schnell.
Vorbei an Tartu, gelangen wir bei Varnja wieder an den See. Hier ist er bereits so breit, dass das andere Ufer nicht zu sehen ist. Wie auf einer Perlenkette aufgeschnürt liegen hier die sogenannten Zwiebeldörfer. Hier leben viele russische Altgläubige, die hier im 17. Jahrhundert eine Zuflucht fanden. Und fast jeder scheint Zwiebeln anzubauen. Den See sieht man oft nur über kleine Schneisen durch das dichte Schilf. Bald darauf erreichen wir Alatskivi. Das hiesige Schloss (Mois) aus dem späten 19. Jahrhundert ist eine Art Miniaturnachbau von Balmoral in Schottland.
Die Weiterfahrt führt oft mit Blick auf den See nach Norden. In der kleinen Hafenbucht von Mustvee suchen einige Kinder Erfrischung im kühlen Nass. Viele Esten sind unterwegs und bereiten sich auf Johanni vor, das Mittsommernachtsfest. Es ist eines der größten Ereignisse des Jahres und wird traditionell draußen gefeiert. Aufgrund der Corona-Situation diesmal aber nur im privaten Rahmen. Ein Feuer, das es zu überspringen gilt, gehört traditionell dazu.
Die Gutsanlage von Mäetaguse (dt. Mehntack) ist unser Tagesziel. Die Fahrten waren heute wieder großartig. Nur sehr wenig Verkehr, weite Ausblicke, ein Traum …
Tag 9. Lahemaa Nationalpark und Tallinn
Das Frühstück wird in Mäetaguse wieder als Buffet gereicht. Außer den für alle öffentlichen Bereiche vorhandenen Hand-Desinfektionsmittel sind keine besonderen Corona-Maßnahmen erkennbar. Die Tische bieten wieder ausreichend Abstand.
Aufbruch zur letzten Etappe unserer Corona-Erkundunstour. Zunächst steuern wir Toila an, weil man von hier so schön direkt an der Ostsee fahren kann. Die Sonne scheint auch heute mit voller Kraft und die Ostsee ist von der Steilküste aus immer wieder sichtbar und liegt spiegelglatt da. Wir stoppen am Valaste-Wasserfall, der in die Ostsee stürzt.
Weiter führt unsere Etappe auf wieder mal ruhigsten Nebenstraßen nahe der Ostsee in Richtung Westen. Bei Kalvi werfen wir einen kurzen Blick auf das gleichnamige Schloss. Bis 2009 war es ein Hotel und befindet sich heute in Privatbesitz, kein Zugang möglich. Kunda ist eine kleine Industriestadt mitten in der Idylle. Das alte Zementwerk aus dem 19.Jahrhundert ist längst eine Ruine. Aber auch das riesige Gelände der „neuen“ Zementfabrik aus Sowjetzeiten ist ohne Leben. Dafür ist mit einiger Entfernung eine Zellulose-Fabrik entstanden.
Mitten im Wald zweigt unvermittelt der Weg zur Burg Toolse ab. Von der Burg zeugen nur noch mächtige, wirklich beeindruckende Mauerreste, die direkt an der Ostsee liegen. Einst bewachte sie einen Hafen, wurde aber im Großen Nordischen Krieg gesprengt. Heute ist hier viel mehr Betrieb als ich es sonst kenne. Kein Wunder, wir haben ja einen Feiertag (Johanni). Heute ist in den Restaurants und Cafés, die wir unterwegs sehen, richtig Betrieb.
Über geschwungene Waldstrecken erreichen wir den Lahemaa-Nationalpark. Er erstreckt sich mit Wäldern, Hochmooren, Feldern und Buchten entlang der Ostsee. Neben der Natur sind es auch die alten Gutsanlagen deutschbaltischer Familien, die hier einen Besuch wert sind und die heute, wunderbar hergerichtet, teilweise als Hotels betrieben werden. Vihula, Sagadi, Palmse sind solche Anlagen. Lediglich das riesige Gutshaus von Kolga wartet noch auf eine Restaurierung. Das Fischerdorf Alta ist ebenfalls ein lohnendes Ausflugsziel und schon müssen wir vom Nationalpark Abschied nehmen und steuern Tallinn an.
Anders als bei meinen letzten Besuchen ist die grandiose Altstadt von Tallinn relativ leer. Längst nicht alle Restaurants und Bars haben – trotz des tollen Wetters – geöffnet. Wir genießen den herrlichen Sommerabend auf dem Rathausplatz und lassen das mittelalterliche Bild auf uns wirken. Schade, dass unsere Reise nun schon zu Ende geht. Morgen geht es auf die Fähre nach Helsinki und dann weiter zur Einschiffung nach Travemünde. Ich könnte noch gut eine Weile bleiben …
Tag 10: Über Helsinki nach Hause
Frühstück in unserem Hotel von Stackelberg. Hier werden wirklich alle Corona-Register gezogen. Das Buffett ist durch Glasscheiben abgetrennt, Speisen werden von den Mitarbeitern gereicht. Desinfektionsmittel sind sowieso überall (auch anderswo) und der Abstand der Tische ist wie fast überall auch hier großzügig.
Die Fahrt zum zentral gelegenen Hafen ist nur kurz. Hier schiffen wir uns auf der Tallink-Fähre nach Helsinki ein. Eine Passage von zwei Stunden, auf der man sich üblicherweise keine Kabine nimmt (kann man aber machen). Bei herrlichem Wetter verschwindet das wunderschöne Panorama von Tallinn am Horizont.
In Helsinki liegt der Westhafen ebenfalls zentral, eine (Corona-)Kontrolle findet nicht statt, wir können unbehelligt einreisen, obwohl die Sperre zwischen Deutschland und Finnland ja noch bis zum 13.07. besteht. Aber wir kommen ja aus Estland …
Unseren ursprünglichen Plan, uns noch ein wenig im Zentrum umzuschauen, verwerfen wir wegen der Hitze und der unglücklichen Parkplatzsituation. Die finnische Strenge macht da auch vor uns Motorradfahrern nicht Halt. Die Weiterfahrt nach Deutschland findet vom Außenhafen Vuosaari statt. Wir schlagen diese Richtung ein uns suchen uns lieber ein kleines Plätzen unterwegs. Um 15 Uhr sollen wir ja auch schon am Check-in erscheinen.
Zwischendurch hat Werner wieder viel Spaß, weil seine brandneue Moto Guzzi manchmal nicht wieder anspringen will. Das brachte ihn schon bei der Ankunft mit der Fähre in Klaipeda in Nöten, als hinter ihm alle Autos starten wollte und er zunächst nicht wegkam. Leute, ich sage euch, in so einem Moment wird einem echt warm … Schlussendlich lag der Fehler aber beim Fahrer ;-)). Der Notaus der Guzzi liegt unglücklich und kann leicht unbemerkt aktiviert werden. So lange er dann nicht wieder angetippt wird, geht eben auch nix mehr. Das Ding gehört ganz eindeutig rot und nach oben am Lenker. So wie immer eigentlich … :-)
In Vuosaari sind anscheinend schon alle an Bord, wir sind jedenfalls die einzigen in der Wartereihe. An Bord verzurrt man auch hier wie so oft die Motorräder in Eigenregie (mir auch lieber, sicherheitstechnisch aber eher unverständlich). Da die Gurte und Laschpunkte im Boden der Fähren immer unterschiedlich sind, hüsert man da schon mal eine Weile mit rum und sieht am Ende dann auch meist aus wie S.. :-)
Unsere Zweibettkabine ist hinreichend großzügig, an Bord sind – wenn’s hochkommt – fünfzig Passagiere. Fünfhundert passen drauf. 17 Uhr und wieder verschwindet das Stadtpanorama am Horizont, zusätzlich genießen wir den Blick auf die Schären und Felsinseln vor Helsinki. Hier so eine kleine Insel mit rotem Holzhäuschen, ein Boot…, das hätte was. Das Abendbuffet ist wegen Corona nicht ganz so umfangreich wie sonst, aber hinreichend abwechslungsreich. Hm…, Selbstbedienung. Aber es liegen Einweghandschuhe zusammen mit der schriftlichen Bitte aus, diese auch zu benutzen. Leider halten sich nicht alle daran. Das müsste besser kontrolliert werden (wäre einfach, wenn jemand dafür abgestellt würde). Wer keine anzieht, bekommt eben nichts zu essen. Der erbetene Abstand wird aber gut eingehalten. Bei den wenigen Passagieren auch keine große Herausforderung.
Ansonsten genießen wir die ruhige Überfahrt. Morgen um 21.30 Uhr kommen wir in Lübeck-Travemünde an.